Nur ein internationales Verbot kann Rechte von Frauen und Kindern schützen
Bis zum Ausbruch des Krieges war die Ukraine nach den USA der zweitgrößte Mietmutterschaftsmarkt der Welt. Jährlich wurden 2.500 Kinder von ukrainischen Leihmüttern ausgetragen, 90 Prozent waren von ausländischen Paaren bestellt. Jetzt verlagert sich das Geschäft nach Georgien.
Die Nachfrage nach Leihmutterschaftsdiensten in der Ukraine ist größer als je zuvor, sagt Ihor Pechenoha, Klinikdirektor von BioTexCom mit Sitz in Kiew. Allerdings fehle es jetzt an Frauen. „Da so viele ukrainische Frauen ins Ausland gegangen sind, haben wir nicht genug, um die Nachfrage zu stillen, die seit Kriegsbeginn gewachsen ist“, klagt Pechenoha gegenüber dem spanischen Investigativmagazin La Marea (27.2.2023). Die ukrainische Leihmutterschafts-Agentur BioTexCom möchte deshalb nun Frauen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken als Leihmütter anheuern.
Agenturen verdienen, Leihmütter ‚arbeiten‘ aus finanzieller Not
Rekrutiert würden die Frauen aus ärmeren Gebieten, denn – so viel gibt Pechenoha immerhin zu: Alle, die als Mietmütter arbeiten, täten dies aus finanzieller Not. „Sie tun es, weil sie das Geld brauchen, um ein Haus zu kaufen, für die Ausbildung ihrer Kinder“. BioTexCom selbst gilt als größte und erfolgreichste der zahlreichen Fertilitätskliniken in der Ukraine. Die Klinik deckte rund 70 Prozent der Leihmutterschaften in der Ukraine ab mit jährlichen Einnahmen von mehr als 10 Millionen Euro.
Was BioTexCom nur ungern zugibt: Seit dem Krieg haben Vermittlungsagenturen auf andere Länder umgeschwenkt. Mexiko und Teile Lateinamerikas verzeichneten seit der Ukraine-Krise eine erhöhte Nachfrage. Besonders attraktiv ist mittlerweile Georgien, das ähnliche Gesetze hat wie die Ukraine und zu den Billigst-Angebot-Ländern für Leihmutterschaft zählt .
Georgien: Das neue Eldorado für indische Leihmutterschaftsagenturen
Leihmutterschaft wurde in Georgien bereits 1997 legalisiert, ist vergleichsweise günstig und hat wenig gesetzliche Schranken. Damit ist das bitterarme Land nicht nur für Kunden aus dem Westen, sondern auch aus Indien attraktiv. Dort wurde vor 20 Jahren die kommerzielle Leihmutterschaft legalisiert, jedoch im Jahr 2022 endgültig für Ausländer und Inländer verboten – trotz lautstarker Proteste der Lobby der Leihmutterschaftsagenturen. Das Modell der sogenannten altruistischen Leihmutterschaft wird im Vergleich minimal genutzt. Das milliardenschwere indische Business bricht zusammen. Also bauen indische Wunschbaby-Kliniken ihre (Menschen)Handelsbeziehungen nun mit Georgien auf.
IMABE-Direktorin Kummer: „Frauen werden als Mütter ausradiert und unsichtbar gemacht“
Der Zeitpunkt des indischen Verbots hätte für Georgien nicht besser fallen können. 2022 fiel wegen des Kriegs die Ukraine als Topdestination für Mietmütterschafts-Verträge weg, um den indischen Markt zu bedienen. Georgische Agenturen haben dafür bereits Zweigstellen in Indien und weltweit errichtet. So wird die Leihmutterschaftsagentur ARTbaby mit Sitz in Tiflis von Ravi Sharma, einem Inder, geführt. Der ARTbaby-Direktor schwärmt von Georgien: „Die Leihmutter hat keine Rechte an dem Kind. In der Geburtsurkunde werden weder die Leihmutterschaft noch die Leihmutter erwähnt. Es besteht kein Anwaltszwang“ (Bussiness Insider, 8.6.2022).
„Der internationale Markt wird immer aggressiver“, beobachtet IMABE-Direktorin Kummer. Um diese ausbeuterischen Entwicklungen zu stoppen, brauche es „ein internationales Verbot von Leihmutterschaft“. Nur dann könnten die Rechte von Frauen und Kindern wirksam geschützt werden, so die Ethikerin. „Gerade der feministische Diskurs betont zurecht, wie verharmlosend die Rede von ‚Leihmüttern‘ ist“, sagt Kummer. In Wahrheit würden hier Frauen rein zum Zweck des Gebärens angemietet. „Alles, was daran erinnert, dass sie biologisch die Mutter des Kindes ist, muss ausradiert und unsichtbar gemacht werden. Die Mutter wird aus der Biografie des Kindes gelöscht. Sie muss sich vertraglich dazu verpflichten, das Kind den Bestelleltern auszuhändigen. Das erinnert an den Menschenhandel aus dunklen Zeiten.“
Misshandelte Frauen kaufen sich durch Leihmutterschaft von ihren Ex-Männern frei
Ein Blick nach Georgien zeigt laut Kummer die Dramatik der Situation: Große Teile der georgischen Bevölkerung leiden unter Armut, 35 Prozent sind arbeitslos, darunter besonders junge Menschen. Viele Frauen sind Opfer von häuslicher Gewalt und suchen Zuflucht in Frauenhäusern, wo Leihmutterschaftsagenturen sie aufsuchen. Um von ihren Ex-Männern loszukommen, brauchen Frauen ein Einkommen. So bot eine Leihmutterschaftsagentur einer 32-jährigen Bäckereiangestellten ein Fünf-Jahres-Gehalt, in ihrer Verzweiflung willigte sie ein. Während sie sich vor ihrem missbräuchlichen Ex-Mann in einem Frauenhaus in Tiflis versteckte, vermietete sie sich aus Angst um ihr Leben als Gebärmutter, um finanziell unabhängig zu werden. Die Direktorin des Frauenhauses berichtet von 10 solcher Fälle aus ihrer Einrichtung.
Ukraine: Behinderte Babys können im Waisenhaus zurückgelassen werden
Ein anderes Beispiel für skrupellose Methoden ist die Agentur New Life Global mit Sitz in London. Sie wurde 2008 von der georgischen Ärztin Mariam Kukunashvili gegründet und bietet internationalen Kunden kostengünstig ein Kind an. Dabei nützt New Life Global das rechtliche Vakuum in vielen Ländern, um von dort Leihmütter zu rekrutieren, damit sie Kinder für Kunden austragen,in Ländern Leihmutterschaft verboten ist. Jetzt gerät die Firma wegen undurchsichtiger Briefkastenfirmen und Verdacht auf kriminelle Tätigkeit ins Visier der Behörden (The Observer, 18.12.2022): Leihmütter erhalten keine rechtsgültigen Verträge, Eltern können das Geschlecht ihres Kindes auswählen. Und in der New Life Global Filiale in der Ukraine wurden Bestelleltern bis vor kurzem informiert, dass sie nur gesunde Babys mitnehmen müssen. Kinder, die von einer Mietmutter mit Behinderungen geboren wurden, könnten legal in einem Waisenhaus zurückgelassen werden – auf Kosten der Regierung.
Weltweit Experten und Feministinnen im Widerstand gegen die reproduktive Ausbeutung von Frauen
IMABE-Direktorin Kummer vermerkt positiv, dass sich im Kampf gegen die reproduktive Ausbeutung von Frauen Allianzen über alle Weltanschauungen hinaus gebildet haben. So veröffentlichten am 3. März 2023 mehr als 100 Wissenschaftler und Experten aus 75 Ländern aller Kontinente eine Erklärung („Casablanca Declaration“), in der sie die Staaten auffordern, die Praxis der Leihmutterschaft weltweit abzuschaffen; dabei präsentierten sie auch einen Vorschlag für ein entsprechendes internationales Übereinkommen. Die feministische Dachorganisation CIAMS (Internationale Koalition für die Abschaffung der Leihmutterschaft) und ihre „Internationale Charta zur Abschaffung der Leihmutterschaft“ wird von 300 NGOs und Menschenrechtsorganisationen weltweit – darunter auch die Österreichische Plattform www.stopptleihmutterschaft.at – sowie von 3.000 Einzelpersonen aus 65 Ländern unterstützt.
Christian Kast
Vorsitzender