Das folgende Essay entstand im Rahmen meines Weiterbildungskurses Evangelische Religion unter dem Titel „Evolutionslehre als Grundlage des Glaubens?“. Ausgangspunkt meiner Überlegungen war die „Stellungnahme der Evangelischen Landeskirche in Württemberg“ (2007), die sich „Zum Kreationismus und zur Theorie eines ‚intelligenten Designs‘“ äußert. Ich werde im Folgenden nicht auf die Argumente für oder gegen Kreationismus oder Intelligent Design eingehen, sondern den Status und die Tragfähigkeit des wissenschaftlichen Evolutionsmodells einer näheren Überprüfung unterziehen.
Zunächst wird in der o.g. landeskirchlichen Stellungnahme „die Richtigkeit der wissenschaftlichen Evolutionsbiologie, Geologie und Kosmologie“ vorausgesetzt (dort S. 1 unter Punkt 1), eine, wie ich meine, unscharfe und wissenschaftstheoretisch bedenkliche Formulierung, die, soweit ich das sehe, dem hermeneutischen Standardmodell von „Beobachtung – Modellbildung – Evaluation“ widerspricht. Evaluation meint ja die Verifizierung oder Falsifizierung des Modells durch neue Befunde mit ggf. neuer Modellbildung. Die Annahme nun, dass andere (möglicherweise bessere) Erklärungsmodelle a priori „nicht richtig“ sind, würde in der Konsequenz bedeuten, dass es ergebnisoffene Forschung in dieser Frage gar nicht (mehr) geben könnte.
Bei der Aussage, dass es „in der Naturwissenschaft keine ernsthaften Zweifel an den Grundlagen der Evolutionstheorie“ gibt (S. 3 unter Punkt 6), möchte ich anmerken, dass es nach meinem Kenntnisstand unter Naturwissenschaftlern schon Zweifel gibt und dass die Zweifler oft sogar persönliche Konsequenzen in Kauf nehmen müssen, wie ich dem Film „Expelled“ von Ben Stein (2008) entnehme.¹ Darin wird das Schicksal einiger Professoren und Lehrer geschildert, die es gewagt haben, auch einmal über den Tellerrand des Evolutionismus zu schauen: Richard von Sternberg (Washington), Caroline Crocker (Southampton), Michael Egnor (NYC), Robert J. Marks (Texas), Guillermo Gonzales (Washington), Pamela Winnick (Pittsburgh) u.a. Der amerikanisch-jüdische Philosoph, Mathematiker und Molekularbiologe David Berlinski bemerkt in dem Film, anders zu denken als der Mainstream sei „streng verboten“, es existiere in der Naturwissenschaft gleichsam eine Mauer, die Gerald Schroeder (Hebrew University Jerusalem) so kommentiert: „Es gibt akademische Freiheit – solange man sich auf der richtigen Seite dieser Mauer befindet“. Und Ben Stein, der Filmautor, fügt hinzu: „Wissenschaft ist heutzutage kein Hobby reicher Aristokraten mehr. Es ist eine Multimilliarden Dollar schwere Industrie. Und wenn man an dem Kuchen partizipieren will, muss man ein guter Genosse sein und sich anpassen.“ Mir sind allein sechs Personen der Community namentlich bekannt, die auch nicht veröffentlichen dürfen, was sie denken, sondern nur, was dem Mainstream entspricht, weil sie sonst ihren mehr oder weniger gut bezahlten Job verlieren würden oder gar nicht erst bekämen.
„Die Evolutionsbiologie bietet für die Entstehung der Lebewesen eine nach derzeitigem Forschungsstand hinreichende, allgemeine Erklärung an.“ (S. 3 unter Punkt 7) Das ist ein schwerwiegender Satz, den ich als Laie kaum beurteilen kann. Deshalb lasse ich im Folgenden einige Evolutionsbiologen zu Wort kommen, die in der Forschung an vorderster Front stehen und wissen, wovon sie reden (Hervorhebungen durch Fettdruck von mir):
– „The skeletal architecture of vertebrates is widely divergent, yet the basis for change in gross skeletal morphology remains almost entirely unknown.” (Rudel 2003, S. 21)
– „One of biology’s most significant unresolved issues is to understand how novel, complex phenotypes originate, both developmentally and evolutionarily.” (Ledon-Rettig 2008, S. 316)
– „Given its importance and pervasiveness, the processes underlying evolutionary innovation are, however, remarkably poorly understood, which leaves us at a surprising conundrum: while biologists have made great progress over the past century and a half in understanding how existing traits diversify, we have made relatively little progress in understanding how novel traits come into being in the first place.” (Moczek 2008, S. 432)
– „This work is difficult and time consuming, but the question at its core – the genetic origin of new and complex traits – is probably still one of the most pertinent and fundamental unanswered questions in evolution today.“ (Monteiro 2009, S. 215)
– „The origin and diversification of novel traits is one of the most exciting unresolved issues in evolutionary developmental biology.” (Saenko 2011, S. 1)
– „Although animals display a rich variety of shapes and patterns, the genetic changes that explain how complex forms arise are still unclear.” (Martin 2012, S. 12632)
– „How body pattern evolves in nature remains largely unknown.” (Cleves 2014, S. 13912)
– „The explanation for adaptation is natural selection. We are not yet sure what the explanation for novelties is. […] I suspect that the origin of novelties also requires natural selection as well as additional mechanisms, but what they are will have to be determined by more empirical research.” (Wagner 2014, S. 125)
Dazu formuliert das Positionspapier auf S. 3 unter Punkt 7: „Bei der Selektionstheorie handelt es sich um ein naturwissenschaftliches Modell (anders gesagt, eine allgemeine Rahmentheorie), um das kausale ‚Wie‘ der Evolution zu beschreiben.“ Die eben zitierten Einschätzungen machen klar, dass beim derzeitigen Forschungsstand die grundlegenden Änderungen beim Artenwandel mit naturwissenschaftlichen Methoden nur begrenzt beschrieben werden können.
Auch der Philosoph und Kognitionswissenschaftler J. Fodor, der u.a. durch seine These von der angeborenen Sprache des Geistes, die er Mentalese nennt, bekannt geworden ist (Loewer 2015, S. 60), und der Biophysiker und Molekularbiologe M. Piattelli-Palmarini äußern in ihrem Buch „What Darwin got wrong“ (2010) grundlegende Kritik an Darwins Selektionstheorie, die ihrer Meinung nach die Entstehung neuer Formen nicht erklären kann: „Heutzutage haben Biologen guten Grund zu glauben, dass Selektion […] zur Erklärung neuer Formen des Lebens bei weitem nicht ausreicht“ (S. 21). „Wir wissen nicht, was der Mechanismus der Evolution ist“ (S. 153). Sie argumentieren u.a.: Selektion auf ein bestimmtes Merkmal hin („selection for“) sei „intentional“ (erfordere also einen zielorientierten Akteur); diesen gebe es zwar in der Züchtung, nicht aber unter natürlichen Verhältnissen. Daher sei Darwins Analogie – die künstliche Selektion als Vergleich für natürliche Selektion – ungeeignet. Damit treffen sie ins Mark kausaler Evolutionstheorien. Sie haben zwar auch keine alternative Erklärung, glauben aber trotzdem, dass es eine rein naturalistische Erklärung gebe und ein Schöpfer nicht benötigt werde. Sie beginnen ihr Buch ausdrücklich mit dem Hinweis, keine ID‘ler oder Kreationisten, sondern bekennende Atheisten zu sein (das ist scheinbar so eine Art Visitenkarte, die man vorzeigen muss, um beim Konzert der „weltanschauungsfreien“ Wissenschaft mitspielen zu dürfen), trotzdem werden sie in den Rezensionen verunglimpft und diffamiert, als „säkulare Kreationisten“ (Wilson 2010) beschimpft und ihr Buch als „Attacke auf Evolution“ gebrandmarkt, obwohl sie sich ausdrücklich zum Evolutionsparadigma und dem „naturalistischen“ Weltbild bekennen.
Ebenso bemerkenswert ist der Vorgang, dass der „recht harmlose, aber evolutionskritische Film“ (so die Coverbeilage) „Hat die Bibel doch Recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“ von Fritz Poppenberg (1998), in dem auch der Zusammenhang der Evolutionslehre Haeckels mit der nationalsozialistischen Rassenideologie eine Rolle spielt, zunächst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlt wurde, dann aber, vom SFB mit einem Sperrvermerk versehen, selbst auf ausdrückliche Nachfrage von ORB und MDR nicht mehr gesendet werden durfte.
Deshalb noch einmal zurück zu dem Begriff „allgemeine Rahmentheorie“ (S. 3 unter Punkt 7): „Noch nie wurde ein Phänomen in der organischen Natur entdeckt, das nicht im Rahmen der modernen, synthetischen Theorie der Evolution interpretiert werden kann“, schreibt der berühmte Evolutionsbiologe Ernst Mayr (Mayr 1959, S. 1; vgl. auch Mayr 2003, S. 14). Und Jerry Coyne: „Every bit of information we have gathered about nature is consistent with the theory of evolution” (Coyne 2006, S. 6; vgl. auch Jordan 2008, S. 536). Der Widerspruch zwischen diesem Universalanspruch einerseits und den oben formulierten „unanswered questions“ andererseits ist wohl daraus zu erklären, dass „Evolution“ nicht immer dasselbe meint. Einmal bezeichnet sie den weltanschaulichen Grundansatz, das Rahmenparadigma, das als solches gar nicht zur Disposition steht: „Die derzeit gültige Evolutionstheorie geht […] davon aus, dass alle heute lebenden Wesen von früheren, andersartigen Lebewesen abstammen.“ (S. 5 vorl. Abs.) Damit gilt Evolution als Leitidee und konzeptionelle Vorgabe, die im Sinne wissenschaftlicher Hermeneutik nicht widerlegt werden kann, weil sie nicht zur Disposition gestellt wird.
Treffend illustriert dies ein „Lese-Lernbuch“, wenn es über die ungelösten Fragen der Evolution schreibt: „Wir wissen es nicht, wir haben keine Ahnung. Wir wissen nur, dass der Darwinismus in der Lage ist, alles zu erklären, und letztendlich irgendeine Erklärung bieten wird, wenn wir das Phänomen wirklich unter die Lupe nehmen würden“ (Zrzavy 2009, S. 439, Hervorhebung im Fettdruck von mir). Damit wird „Evolution“ gleichsam zu einem dogmatischen Überbegriff, der sich dem Kriterium der Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit entzieht und deshalb per definitionem unwissenschaftlich ist.
Widerlegt werden können dagegen konkrete Hypothesen, z.B. über Mechanismen oder konkrete Abläufe der postulierten Evolution. Kommen neue, „überraschende“ Befunde zu Tage, werden Hypothesen modifiziert oder sogar aufgegeben wie z.B. von Doolittle (1999), der bei einigen Organismengruppen die Idee von einem Stammbaum verwirft und Quervernetzungen annimmt – ohne jedoch die konzeptionelle Vorgabe „Evolution“ in Frage zu stellen, d.h. das Gerüst bleibt stehen, auch wenn unter seinem Dach kräftig umgebaut wird. Damit kann „Evolution“ zweierlei bedeuten: sowohl die quasi-dogmatische Leitidee als auch die konkrete falsifizierbare Hypothese.
„Die Veränderung verlief dabei in vielen Abstammungslinien (nicht immer und überall) hin zu einer höheren Komplexität von Strukturen und Verhaltensweisen.“ (S. 5 vorl. Abs.) Das hatte sich Darwin in seinem Stammbaum, der einzigen Illustration in seiner „Origin of Species“ (1859), so vorgestellt. Mittlerweile machen aber die sog. „Konvergenzen“ (mindestens zweimalige unabhängige Entstehung baugleicher Merkmale) entweder unterschiedliche Baumschemata notwendig oder Stammbaumdarstellungen ganz unmöglich, wie z.B. bei Wägele (2001) die Auswertung verschiedener Untersuchungen aus den 1990er Jahren zu den Gliederfüßern, deren Ähnlichkeitsbeziehungen er als Netzwerk darstellt. Je nach untersuchten Merkmalen ergeben sich folgende Verwandtschaftsverhältnisse: Insekten – Krebse (4 Untersuchungen), Fühlerlose – Krebse (3), Fühlerlose – Stummelfüßer (1), Stummelfüßer – Tausendfüßer – Insekten (1), Tracheentiere – Insekten (5) usw. Wie geht die Community damit um? Sie öffnet das eingeschachtelte System Darwins für Durchbrechungen und verzichtet auf bestimmte Merkmalserwartungen (vgl. z.B. Conway Morris 2009). Das hat aber eine doppelte Konsequenz: Damit „erklärt“ Evolution bestimmte Sachverhalte genauso wie auch ihr Gegenteil, und Merkmalsverteilungen sind demnach keine Indizien mehr, geschweige denn Beweise für Evolution. Der Rahmen gilt demzufolge unabhängig von jeglichem wie auch immer gearteten Forschungsergebnis.
„Insbesondere brachte die Verbindung der Evolutionsbiologie mit der modernen Genetik entscheidende Veränderung und Fortschritte mit sich.“ (S. 5 vorl. Abs.) Das ist wahr, allerdings nicht, wie es im Sinne der Evolutionsbiologie hätte sein sollen. Man hatte gehofft, die klassischen Stammbäume durch molekulare Daten bestätigen und unklare morphologische Verwandtschaftsverhältnisse genetisch klären zu können. Doch: „Molekular-systematische und morphologische Analysen kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen oder aber die molekularen Analysen widersprechen einander genauso, wie das auch bei unterschiedlichen morphologischen Analysen der Fall ist. Auch die Kombination morphologischer und molekularer Daten in einen einheitlichen Datensatz hat in den meisten Fällen noch nicht zu wirklich überzeugenden Verwandtschaftshypothesen geführt.“ (Richter 2004, S. 5f., vgl. Zardoya 2001, Teeling 2005 u.v.a.) Ernst Mayr hatte noch 1963 darauf gesetzt, dass die Suche nach homologen Genen (Gene, bei denen die Ähnlichkeit der Nukleotidabfolgen als abstammungsbedingte Ähnlichkeit interpretiert wird) außer bei sehr nahen Verwandten ganz vergeblich sei, doch: „Entgegen der Erwartung aller Biologen stellte sich heraus, dass die meisten Gene […], die wichtige Aspekte des Bauplans der Taufliege steuern, bei den meisten Tieren […] genaue Entsprechungen besitzen, die dieselbe Aufgabe erledigen“ (Carroll 2005, S. 10) Das evolutionäre Paradigma ist also so flexibel, dass sowohl Sachverhalte als auch ihr Gegenteil irgendwie „erklärt“ werden.
„Nothing in biology makes sense, except in the light of evolution.“ Wie ist nun dieses von Theodozius Dobzhansky 1973 scheinbar in Stein gemeißelte und von den Biologen wie ein Mantra verinnerlichte Dogma der Evolutionstheorie heute zu beurteilen, nach fast einem halben Jahrhundert weiterer intensivster Forschung mit ihrer jährlich länger werdenden Liste „überraschender” Befunde, die nach Meinung vieler Wissenschaftler auch an den Grundfesten der bisherigen evolutionstheoretischen Vorstellungen gerüttelt hat? „Dieser Satz ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Zum einen handelt es sich nicht um einen Beobachtungssatz, sondern um eine Forderung, gar einen Imperativ, der gebietet und verbietet und damit das Forschungsprogramm der Biologie um die Mitte des 20. Jahrhunderts festschreibt. Zum anderen impliziert der Ausspruch, und das ist noch wesentlicher, zugleich sein Gegenteil, daß nämlich die Natur im Prinzip auch im Lichte anderer Theorien betrachtet werden könnte. […] Es wird darum gehen zu zeigen, daß die Welt aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden kann und daß sie – je nach Sicht der Dinge – dem Betrachter auch unterschiedlich erscheint. […] Wird die Idee der Evolution, oder einer speziellen Evolutionstheorie wie jener Darwins, der Beobachtung vorausgestellt, so wird die Welt im Licht jener Theorie erscheinen. Die Theorie wird sich nie als falsch erweisen können, sondern stets mit der Beobachtung in Einklang stehen.“ (Rieppel 1989, S. 13)
Nur so sind dann solche fundamentalen und in ihrer plakativen Wirkung unwiderstehlichen Sätze zu verstehen, wie: „warum dessen [Charles Darwins] Theorie der Evolution inzwischen als Tatsache gelten darf“ (Meyer 2006, S.15). Tatsachen sind nämlich unumstößlich und, soweit es sich um geschichtliche Ereignisse handelt, auch nicht mehr veränderbar, in jedem Fall aber sind sie dem wissenschaftlichen Diskurs entzogen. Damit könnte der Vorwurf, den die Evolutionstheoretiker gegenüber anderen, ihrer Ansicht nach „unwissenschaftlichen“ Forschungsansätzen erheben, leicht auf sie selbst zurückfallen: „Wenn wir unsere Erklärung in die Bestimmung der zu erklärenden Begriffe einfügen, bieten wir keine wissenschaftliche Hypothese an, sondern Glauben. Wir sind so von der Wahrheit unserer Erklärung überzeugt, dass wir keine Notwendigkeit mehr sehen, die Erklärung selbst von der Situation zu unterscheiden, die wir zu erklären versuchen. Dogmatische Vorgehensweisen dieser Art müssen letztlich den Bereich der Wissenschaft verlassen.“ (Brady 1985, S. 177, Hervorhebung im Fettdruck von mir)
Damit sind wir wieder bei unserer Ausgangsfrage: Evolutionslehre als Grundlage des Glaubens? Zu deren Beantwortung halte ich die Ausführungen von James Mitchell Tour für sehr aufschlussreich. Tour ist einer der Top-Wissenschaftler des 21. Jahrhunderts, war Wissenschaftler des Jahres 2013 (R&D Magazine) und wird gelistet u.a. unter „The 50 Most Influential Scientists in the World Today“ (TheBestSchools.org 2014) und in „The World’s Most Influential Scientific Minds“ (ScienceWatch.com 2014). Auf seiner äußerst lesenswerten Homepage schreibt er u.a. (Hervorhebung im Fettdruck von mir): „It is clear, chemists and biologists are clueless [ratlos]. […] Those who think scientists understand the issues of prebiotic chemistry are wholly misinformed. Nobody understands them. […] It would be far more helpful (and hopeful) to expose students to the massive gaps in our understanding. They may find a firmer – and possibly a radically different – scientific theory. The basis upon which we as scientists are relying is so shaky that we must openly state the situation for what it is: it is a mystery.”
Dieses Geheimnis erläutert er aufgrund seiner langjährigen Spitzenforschung: „The information or coding within the DNA (or RNA) that corresponds to the sequence of the nucleic acids is primary to the entire discussion of life. […] I merely showed that the requisite molecules (lipids, proteins, nucleic acids and carbohydrates) are so unlikely to have occurred in the states and quantities needed, that we could never have gotten to the point of figuring out the genesis of the requisite code or information. The code is analogous to the difference between the Library of Congress and a big box of alphabetic letters – the library has a huge amount of embedded information while the random box of letters has little. So origin of first life is the ‘nail holding the coffin closed’ [Sargnagel] on the emergence of biological evolution. Without that first life, or simple cell, which requires the four molecule types plus information, all proposals regarding biological evolution are without the base of life. And it is difficult to discuss biology without life.” Damit berührt Tour die Grundfesten des Evolutionsmodells, wobei der hintergründige Humor des letzten Satzes die Frage aller Fragen stellt: Was ist Leben? Etwas Materielles, das sich aus leblosen Molekülen entwickelt hat (vs. L. Pasteur: „omne vivum ex vivo“), oder etwas Immaterielles, Geistiges und woher kommt es dann?
James Tour hat im Jahr 2001 zusammen mit über 700 anderen Wissenschaftlern folgende Stellungnahme unterschrieben, die unter dem Namen „A Scientific Dissent from Darwinism“ bekannt wurde: „We are skeptical of claims for the ability of random mutation and natural selection to account for the complexity of life. Careful examination of the evidence for Darwinism theory should be encouraged.“ Mit großer Trauer und Betroffenheit schildert er die Folgen, die die Unterzeichnung dieser Aussage für viele seiner Kollegen hatte: „I have witnessed unfair treatment upon scientists that do not accept macroevolutionary arguments and for their having signed the above-referenced statement regarding the examination of Darwinian Theory. I never thought that science would have evolved like this.“ Für ihn, den Spitzenmann universitärer, freier Forschung, stürzte eine, seine bis dahin heile Welt zusammen: „But my recent advice to my graduate students has been direct and revealing: If you disagree with theories of evolution, keep it to yourselves if you value your careers.“ Damit schließt sich der Kreis zu dem oben erwähnten Film „Expelled“ von Ben Stein: „When the power-holders permit no contrary discussion, can a vibrant academy be maintained? Is there a University (unity in diversity)?“
Selbstverständlich erläutert Tour seinen „Scientific Dissent from Darwinism“, allerdings würde die Darstellung der Argumente hier zu weit führen, mehr dazu auf seiner äußerst informativen Homepage, die im übrigen auch Einblick gewährt in das sonst nicht so bekannte wissenschaftliche Alltagsgeschäft. Er schreibt nämlich u.a. (Hervorhebung im Fettdruck von mir): „Some biologists say that ‚random mutation and natural selection’ have long-been recognized by many evolutionists themselves to be insufficient to account for the complexity of life. […] If it is true that some biologists are ignoring data that does not easily fit with their common descent model, it is disconcerting [beunruhigend]. […] In biology, the mechanisms for such transformations are complete mysteries. I posit that the gross chemical changes needed for macroevolution […] are not understood and presently we cannot even suggest the mechanisms […]. Any massive functional change of a body part would require multiple concerted lines of variations. Sure, one can suggest multiple small changes ad infinitum, but the concerted requirement of multiple changes all in the same place and at the same time, is impossible to chemically fathom. […] Therefore, if one is intent upon a common descent model, there was a massive and presently unexplainable infusion (intrinsic and/or extrinsic) along the proposed very short descent pathway between australopithecines and modern humans. If it were an intrinsic infusion, then the requisite anatomical or chemical differences between the modern human brain and other hominid brains are presently indiscernible and unfathomable [nicht wahrnehmbar und unergründbar]. And the chemical basis of the evolutionary mechanisms for such changes is both unknown and presently immeasurable. If the infusion were extrinsic, then the materialistic evolutionist and the design proponent share common ground.”
Der letzte Satz des Zitats zeigt eigentlich, welchen Problemen naturwissenschaftliche Deutungsversuche zur Entstehung des Lebens allgemein und „on the origin of species by means of natural selection“ (Darwin) im Besonderen ausgesetzt sind. Nach all dem, was ich oben zusammengetragen habe – nicht von „unwissenschaftlichen“ Kreationisten oder ID’lern, sondern aus der Mitte evolutionsbiologischer Forschung -, gebietet es die Ehrlichkeit, sich von der These zu verabschieden, es gebe „keine ernsthaften Zweifel an den Grundlagen der Evolutionstheorie“ (S. 3 unter Punkt 6). Nicht zuletzt Tours Erläuterungen, aber auch die zuvor genannten, lassen die Anfrage zu, ob die „Evolutionsbiologie […] für die Entstehung der Lebewesen eine nach derzeitigem Forschungsstand [ich ergänze: wirklich] hinreichende, allgemeine Erklärung“ anbietet (S. 3 unter Punkt 7) oder ob diese Einschätzung nicht vielleicht doch zu optimistisch und unrealistisch ist. Tour spricht von der Ratlosigkeit („clueless“) der Chemiker und Biologen (er ist selber einer der Besten) und: „The basis upon which we as scientists are relying is so shaky […]“. Letztlich konstatiert er das Scheitern der Evolutionstheorie, weil sie an den entscheidenden Stellen (Entstehung des Lebens, Übergänge von einer Art zur anderen) keine hinreichende Erklärung hat, die auf beobachtbaren chemischen Vorgängen beruht.
Damit haben auch, weitergedacht, alternative Erklärungs- und Denkansätze ihre grundsätzliche Berechtigung, und Tour fordert sie sogar: „It would be far more helpful (and hopeful) to expose students to the massive gaps in our understanding. They may find a firmer – and possibly a radically different – scientific theory.“ Welche das sein könnte, ist völlig offen. Zum ID äußert sich Tour im Übrigen wie folgt: „I prefer to be free of that intelligent design label. As a modern-day scientist, I do not know how to prove intelligent design using my most sophisticated analytical tools – the canonical tools are, by their own admission, inadequate to answer the intelligent design question.“
Während also die einen über Alternativtheorien nachdenken, gibt es die anderen, die das Evolutionsmodell sogar in den Rang einer „Tatsache“ erheben wollen. Sie haben sicher ihre Gründe, die ich als Laie im Einzelnen nicht beurteilen kann. Aber mich würde schon interessieren, wie sie mit den vielen widersprüchlichen Befunden umgehen. Wie wir oben gesehen haben, ist die gängige Lösung, das Evolutionsparadigma so weit zu fassen, dass alles, selbst das Widersprüchliche darin Platz hat. Damit besteht die Gefahr, das Terrain wissenschaftlicher Hermeneutik mit der Bedingung der Möglichkeit von Verifizierung und Falsifizierung zu verlassen und, wie es Brady formuliert, den Menschen keine wissenschaftlichen Hypothesen mehr, „sondern Glauben“ anzubieten (Brady 1985, S. 177). Und da stehen plötzlich, wie J. Tour analysiert, „materialistische Evolutionisten und Designbefürworter auf derselben Ebene“. Wenn Evolutionisten Kreationisten vorwerfen, aus Glauben Wissenschaft zu machen, sollten die Evolutionisten darauf bedacht sein, nicht aus Wissenschaft Glauben zu machen.
Zur Frage der Akzeptanz des Evolutionsmodells unter seinen wissenschaftlichen Kollegen berichtet James Tour: „most of my scientist colleagues do not discuss macroevolution very often because they are too busy with their own fields of interest to be sidetracked by such tangential matters. Though the acceptance of macroevolution is rather implicit within their core understandings, most science professors are simply too harried [gestresst] to take much notice of the details.“ Aber es gibt auch einige, wie wir gesehen haben, die ihre grundsätzlichen Erklärungsnöte innerhalb des Evolutionsparadigmas formulieren, dafür auch persönliche Konsequenzen in Kauf nehmen und manchmal sogar ihren Job in der Forschung verlieren. Gerade diese Oppression Andersdenkender gibt mir bei der Frage der Evolutionslehre als Grundlage des Glaubens zu denken. Ich sehe keinen Grund, im wissenschaftlichen Wettbewerb Andersdenkende dermaßen (oder überhaupt) zu diskriminieren: Wenn die Ergebnisse oder Erklärungen meines Kollegen besser sind als meine, gebührt ihm in einer fairen Auseinandersetzung die Anerkennung und umgekehrt. Und wenn ich denke, dass meine Lösung die bessere ist, brauche ich ihn doch nicht in seiner Existenz zu bedrohen. Außer meine Lösung wäre nicht die bessere und ich hätte sonst keine anderen Mittel, um mich durchzusetzen.
Evolutionslehre als Grundlage des Glaubens? Es ist grundsätzlich problematisch, wissenschaftliche Theorien, die im Für und Wider der immer neuen Befunde und Erkenntisse der Forschung stehen, zur Grundlage des persönlichen oder kirchlichen Glaubens zu machen. Der heutige Stand der Forschung ist ein anderer als der vor 50 Jahren und als der, der es in 20, 30, 50 oder 100 Jahren sein wird. Muss ich davon meine Glaubensüberzeugung abhängig machen? Auch werden dieselben Dinge zur selben Zeit von verschiedenen Wissenschaftlern durchaus unterschiedlich interpretiert. Diese Freiheit der Forschung ist ein hohes Gut, und damit sie es bleiben kann, sollte sie nicht mit Glaubensüberzeugungen vermischt werden. Umgekehrt sollte Wissenschaft auch dem einzelnen Menschen die Freiheit lassen und ihn zu nichts verpflichten. Sonst wird sie selbst zu einer zu glaubenden Glaubenswahrheit („Tatsache“). Dieser Anspruch steht der Wissenschaft ebenfalls nicht zu. Denn entweder müssen die Menschen „glauben“, was Wissenschaft und Wissenschaftler ihnen präsentieren, oder aber sie müssen selbst Wissenschaft betreiben (und das ist für die, die es tun, offensichtlich schon schwierig genug). Der bessere Wissenschaftler wäre auch der bessere Mensch oder Gläubige. Man müsste sich ein umfassendes Wissen verschaffen, um Dinge zu beurteilen. Und das würde wahrscheinlich auch nicht anders ausgehen als bei Goethes Faust: „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“
Dennoch hoffe ich, dass mein vorliegender Versuch dazu beitragen kann, das in der genannten Stellungnahme „Zum Kreationismus und zur Theorie eines ‚intelligenten Designs‘“ stillschweigend verteidigte Wissenschaftsmodell des Evolutionismus einer differenzierteren Betrachtung zu unterziehen. Gottes Schöpfung ist ein Mysterium, dem der Mensch auch und gerade in der Wissenschaft nachspüren kann. Dabei werden die wissenschaftlichen Ergebnisse das Staunen über seine Schöpfung nicht ersetzen, aber es befördern, wenn der Mensch es will. Wie wir gesehen haben, ist zur Zeit kein wissenschaftliches Modell in der Lage, unsere Schöpfung und seinen Schöpfer auch nur annähernd zu verstehen. Denn wie sagt James Mitchell Tour so treffend: „God seems to have set nature as a clue, not a solution, to keep us yearning for him.“
¹ Literaturverzeichnis (nach dem Auftreten im Essay und damit als Ersatz für Anmerkungen):
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www.intelligenz-streng-verboten.de
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www.jmtour.com/personal-topics/evolution-creation (September 2016)
Post scriptum:
1. Naturwissenschaft ist
– naturalistisch, weil Natürliches nur durch Natürliches erklärt wird;
– materialistisch, weil Übernatürliches (Immaterielles) nicht Gegenstand der Naturwissenschaft ist;
– atheistisch, weil Gott übernatürlich (immateriell) ist.
2. Die Evolutionslehre geht davon aus, dass alle natürliche Entwicklung zufällig, ungelenkt und nicht zielgerichtet verläuft.
3. Ein Paläontologe wird über den Zweifel am Darwinismus zum Christen: Dr. Günter Bechly ist Paläontologe und war am Naturkundemuseum in Stuttgart für die Sonderausstellung zum Darwin-Jahr 2009 verantwortlich. Damals sind ihm erste Zweifel an der Evolutionstheorie gekommen. Schließlich fand er für sich das, was er am wenigsten wollte, was er zuvor verachtete: den christlichen Glauben. Er ging mit seinen Zweifeln an die Öffentlichkeit, wurde zum Störfaktor und musste seinen Job aufgeben. Seine Geschichte erzählt er selbst in diesem 30-minütigen Video, sie beweist: Forschung kann zu Gott führen, Glaube und Wissenschaft sind kein Widerspruch. Und: der Wissenschaftsbetrieb ist nicht neutral und objektiv, sondern weltanschaulich unumstößlich festgelegt. Wer die rein materielle Weltsicht in Frage stellt und sogar Gott als Schöpfer des Lebens ins Spiel bringt, der hat in der akademischen Welt keinen Platz mehr. Sehr sehenswert:
https://www.youtube.com/watch?v=LWVIzw0mTOw
Interessante weiterführende Literatur unter www.wort-und-wissen.de
Autor: Dr. Norbert Höhl (Erstfassung 04.12.2016, aktualisierte Fassung 05.10.2017)
Kontakt: norbert.hoehl@buendnis-c.de